Am 23. Oktober 2018 begaben sich die Schülerinnen und Schüler der 3B auf einen Lehrausgang der besonderen Art. In Begleitung von Frau Prof. Fischer und Herrn Prof. Krikl sollte die „Stadt unter der Stadt“ erkundet werden.
Das Angebot, auf den Spuren von Orson Welles als „Harry Lime“ in das Wiener Kanalnetz „einzutauchen“, wird meistens von Touristen angenommen, die vor allem Interesse für den Drehort der berühmtesten Szene des 1951 mit einem Oscar prämierten britischen Films „Der dritte Mann“ zeigen.
Der Einstieg in die Unterwelt befindet sich schräg gegenüber vom Café Museum im ersten Bezirk und es ist derselbe, den vor 70 Jahren die Film-Crew betreten hat, um die unterirdische Verfolgungsjagd zu drehen.
Bevor das Abenteuer beginnen konnte, wurden sie Schülerinnen und Schüler mit Helmen ausgerüstet, an deren Stirnseite eine Art Grubenlampe eingeschaltet werden konnte.
Beim Abstieg in vorerst sieben Meter Tiefe erklangen die zu erwartenden Ausrufe wie „Pfui, das stinkt!“ oder „Hilfe, da ist es finster!“ Als Hintergrundmusik begleitete uns Anton Karas auf der Zither mit dem weltberühmten „Hary-Lime-Thema“.
Unser eloquenter Guide Alex hatte nicht nur unzählige interessante, gruselige und witzige Geschichten und Anekdoten rund um Wiens Unterwelt auf Lager, er vermittelte – unterstützt von kurzen Filmeinspielungen – auch wichtige Informationen über die Geschichte des Wiener Kanalsystems und seine Bedeutung für uns alle heute:
Um die extreme Geruchsbelästigung und Gesundheitsgefährdung durch die willkürlich in die Wiener Bäche entsorgten Abfälle und Abwässer zu reduzieren, wurde Wien als erste Stadt Europas bereits 1739 vollständig kanalisiert.
Da die Bewohner der Vorstädte weiterhin Müll und Unrat in die Bäche leiteten, blieben Seuchen nach wie vor nicht aus.
Nach der verheerenden Cholera-Epidemie um 1830/31 wurde mit dem Bau der beiden großen Cholera-Kanäle begonnen, die auch heute noch parallel zum Wien-Fluss verlaufen, und alle wichtigen Bäche wurden eingewölbt.
Um 1900 fanden zahlreiche Obdachlose Unterschlupf im Kanalsystem; das erhöhte ihre Überlebenschancen bei Regen und im Winter massiv.
In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg diente die Stadt unter Stadt verfolgten Menschen als Versteck und Schwarzmarkhändlern und Schmugglern so wie Harry Lime als Arbeitsplatz.
So wie sich uns dieses hochmoderne Abwassersystem heute präsentiert, als Produkt aus Geschichte und technologischer Innovation, umfasst es ein 2400 km langes Kanalnetz.
Sämtliche Abwässer werden in die Hauptkläranlage Simmering geleitet; 230 Millionen Kubikmeter treffen jährlich am tiefsten Punkt Wiens ein.
Am so genannten „Überfang“ wurde für uns die Verfolgungsjagd aus dem „Dritten Mann“ an die Steinmauer der Kloake projiziert. Ebenso sah die 3B im Kanalnetz gedrehte Szenen aus „Kommissar Rex“, „Tom Turbo“ und „Maikäfer, flieg“.
Beim Erreichen unserer letzten Station konnten wir alle im wahrsten Sinne des Wortes aufatmen: Im Becken des Wien-Flusses rochen wir wieder frische Luft. Alex wies auf die Gefahren eines illegalen Einstiegs ins Kanalnetz hin. Bei Regen kann sich das harmlos aussehende Bächlein in einen reißenden Fluss verwandeln – im Jahr 2012 zum Beispiel stieg der Wasserspiegel auf 2,6 Meter an.
Unser Guide erklärte uns auch, was alles nicht in die Toilette geschmissen werden sollte. Vor allem Essensreste würden die Ratten, die am Kanalnetz wenig Interesse zeigen, anlocken.
Angesichts der Schilderungen von Alex bekamen wir alle Respekt vor der Arbeit, die die Kanalarbeiter täglich leisten.
Niemand, der am Naschmarkt flaniert oder einkauft, der die Ausstellungen der Sezession besucht oder im Garten des Café Museum sitzt, denkt daran, dass sich einige Meter darunter der Arbeitsalltag jener abspielt, die ständig für die Stadt im Einsatz sind.
Doris Fischer